Erfahrungsbericht: Mein Weg mit Venlafaxin bei sozialer Phobie

Als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal über Venlafaxin aus Erfahrungen gesprochen habe, war ich an einem Punkt, an dem meine soziale Phobie meinen Alltag stark bestimmte. Heute nehme ich Escitalopram. Schon einfache Situationen – anrufen, einkaufen, vor anderen sprechen – lösten ein körperliches Stresslevel aus, das kaum auszuhalten war. Ich war ständig angespannt, innerlich überzeugt, beurteilt oder beobachtet zu werden, und gleichzeitig enttäuscht darüber, wie sehr mich diese Angst einengte.

Der Anfang: Skepsis und Hoffnung

Die Entscheidung, ein Medikament zu nehmen, fiel mir schwer. Ich hatte Angst vor Nebenwirkungen, davor „nicht mehr ich selbst“ zu sein und vor der Vorstellung, überhaupt ein Antidepressivum zu benötigen. Mein Arzt erklärte mir jedoch ruhig, wie Venlafaxin wirkt – nicht als sofortige „Lösung“, sondern als Unterstützung, die zusammen mit Therapie helfen kann, festgefahrene Muster zu lösen.

Die ersten Wochen waren ehrlich gesagt anstrengend. Mein Körper musste sich an die Wirkung gewöhnen, und es gab Tage, an denen ich zweifelte, ob es überhaupt etwas bringt. Doch gleichzeitig merkte ich nach und nach Veränderungen, die ich zunächst kaum einordnen konnte.

Die ersten spürbaren Effekte

Etwa nach mehreren Wochen stellte ich fest, dass Situationen, die früher Panik ausgelöst hätten, plötzlich weniger überwältigend wirkten. Die Angst war nicht verschwunden – aber sie war gedämpft, als ob zwischen mir und meiner üblichen Reaktion ein bisschen mehr Abstand entstanden wäre.

  • Gespräche mit Kollegen fühlten sich weniger bedrohlich an.

  • Ich konnte länger im Blickkontakt bleiben, ohne sofort das Gefühl zu bekommen, wegzurennen.

  • Selbst alltägliche Dinge wie Anrufe oder Smalltalk lösten nicht mehr diese Hitzewellen und Herzrasen aus.

Es war, als hätte ich zum ersten Mal seit Jahren einen kleinen Freiraum zwischen Reiz und Reaktion.

Was sich innerlich verändert hat

Besonders deutlich wurde mir, dass Venlafaxin nicht meine Persönlichkeit verändert, sondern die Überreaktionen meiner Angst abschwächt. Ich fühlte mich stabiler, klarer und weniger von meinen eigenen Gedanken überrollt.

Vorher war es oft so:
„Was, wenn ich mich blamiere?“ → Panik.

Mit Venlafaxin wurde daraus eher:
„Was, wenn ich mich blamiere?“ → Ein Gedanke. Nicht angenehm, aber handhabbar.

Dieser Abstand half mir enorm in der Therapie. Dinge, die ich früher nicht einmal zu denken wagte – Rollenspiele, Konfrontationsübungen, bewusst peinliche Situationen – waren plötzlich machbar, weil die Angst nicht mehr alles dominierte.

Nebenwirkungen und Gewichtsabnahme

Seit Beginn der Einnahme von Venlafaxin habe ich neben den positiven Effekten auch einige Nebenwirkungen bemerkt, die mich anfangs verunsichert haben. Besonders in den ersten Wochen fühlte ich mich häufig innerlich unruhig, manchmal fast wie leicht unter Strom. Dazu kamen gelegentliche Übelkeit, ein trockener Mund und Phasen, in denen mir schwindlig wurde, vor allem morgens oder wenn ich zu schnell aufstand. Mit der Zeit ließen viele dieser Beschwerden nach, aber einige begleiteten mich weiterhin in abgeschwächter Form.

Auffällig war vor allem meine Gewichtsabnahme. Mein Appetit veränderte sich deutlich – nicht komplett weg, aber insgesamt geringer, und ich musste mich oft bewusst daran erinnern, regelmäßig zu essen. Dadurch nahm ich in den ersten Monaten mehrere Kilo ab, ohne es wirklich zu merken. Erst später fiel mir auf, wie locker manche Kleidungsstücke geworden waren. Obwohl die Gewichtsreduktion nicht unangenehm war, war sie für mich ein deutliches Zeichen dafür, wie stark Venlafaxin auf meinen Körper wirkt und dass ich aufmerksam beobachten muss, was sich verändert.

Der Alltag heute

Ich will nicht sagen, dass alles perfekt ist. Meine soziale Phobie ist nicht weg. Aber sie kontrolliert mein Leben heute nicht mehr vollständig.

  • Ich gehe zu sozialen Treffen, obwohl ich manchmal ein flaues Gefühl habe.

  • Präsentationen sind machbar, wenn auch noch unangenehm.

  • Entscheidungen, die früher Tage gedauert hätten, kann ich nun schneller treffen.

Venlafaxin ist für mich wie ein Werkzeug: Es nimmt mir nicht die Verantwortung für meine Entwicklung ab, aber es verschafft mir die nötige Stabilität, um diese Entwicklung überhaupt zu ermöglichen.

Was ich für mich gelernt habe

  • Medikamente können eine wichtige Brücke sein, nicht die Lösung selbst.

  • Therapie und Selbstarbeit funktionieren für mich deutlich besser, wenn die akute Angst gedämpft ist.

  • Verbesserungen passieren schrittweise – manchmal so langsam, dass man sie erst im Rückblick erkennt.


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