Meine gruselige Erfahrungen mit Scientology in Erfurt (Deutschland)

„Ich war depressiv und wollte mich selbst finden – und habe mich fast verloren“
Erfahrungsbericht von Max, ein Scientology-Aussteigers aus Erfurt, Deutschland

Ich heiße Martin (Name geändert), bin in Erfurt geboren und aufgewachsen. Wenn ich heute an meine Zeit bei Scientology denke, wird mir immer noch mulmig. Ich hätte nie geglaubt, dass mir so etwas hier in Deutschland passieren könnte – in meiner Heimatstadt, wo ich mich eigentlich sicher fühlte. Aber ich befand mich damals an einem Punkt, an dem ich verzweifelt nach Orientierung suchte.

Es war im Herbst 2015, ein trüber Tag in der Innenstadt von Erfurt. Ich lief nach der Arbeit über den Anger, gedanklich irgendwo zwischen meinem stressigen Job und meiner zerbrochenen Beziehung. Plötzlich sprach mich ein freundlicher Mann an, bot mir einen kostenlosen „Persönlichkeitstest“ an und meinte: „Vielleicht hilft er Ihnen, sich selbst besser zu verstehen.“ Genau das wollte ich.

Kurz zur Info, Scientology, was ist das Eigentlich?

Scientology ist eine von L. Ron Hubbard in den 1950er-Jahren gegründete religiöse Bewegung, die sich aus seinen zuvor entwickelten Ideen der sogenannten „Dianetik“ entwickelte. Offiziell bezeichnet sich Scientology als Religion, Kritiker sehen sie jedoch oft als sektenähnliche Organisation. Im Zentrum steht die Vorstellung, dass der Mensch im Kern ein unsterbliches geistiges Wesen ist, das „Thetan“ genannt wird. Dieser Thetan soll unabhängig von Körper und Verstand existieren und viele frühere Leben durchlaufen haben. Scientologen glauben, dass die meisten Probleme, Leiden und negativen Gefühle aus traumatischen Erfahrungen stammen, die nicht nur aus diesem, sondern auch aus früheren Leben herrühren.

Durch spezielle geistige Schulungen und ein Verfahren namens „Auditing“ sollen diese belastenden Erinnerungen – die sogenannten „Engramme“ – aufgedeckt und neutralisiert werden. Ziel ist es, den Zustand des „Clear“ zu erreichen, in dem der Mensch von diesen mentalen Blockaden befreit ist. Darüber hinaus gibt es in Scientology eine hierarchische „Brücke zur totalen Freiheit“, auf der Mitglieder durch verschiedene Stufen (OT-Level, „Operating Thetan“) aufsteigen. In den höheren Lehren wird unter anderem die Vorstellung vermittelt, dass die Erde in ferner Vergangenheit von außerirdischen Wesen beeinflusst wurde, insbesondere durch eine Figur namens Xenu, die Milliarden Seelen in eine Art Gefangenschaft gebracht haben soll – eine Lehre, die erst in fortgeschrittenen Kursen offenbart wird.

Scientology vertritt zudem die Ansicht, dass der Mensch durch Anwendung der von Hubbard entwickelten Methoden sein volles geistiges und spirituelles Potenzial entfalten kann. Die Organisation betont Eigenverantwortung, Selbstverbesserung und den Glauben an die Fähigkeit des Individuums, sein Leben aktiv zu gestalten. Kritiker bemängeln jedoch die strenge Kontrolle der Mitglieder, hohe finanzielle Anforderungen und den Umgang mit Aussteigern oder Kritikern.

Der Anfang – Hoffnung in Erfurt
Nach dem Test erklärten sie mir, ich hätte „geistige Blockaden“, die mich davon abhielten, mein wahres Potenzial zu entfalten. Sie versprachen mir, dass Scientology mir helfen könne, mein Leben zu verändern – nicht nur irgendwo in der Welt, sondern hier, mitten in Deutschland, in Erfurt. Ich fühlte mich plötzlich gesehen, aufgehoben. Die ersten Kurse waren spannend, die Menschen wirkten herzlich, fast wie eine Familie.

Der schleichende Druck
Doch schon nach wenigen Monaten kam der Druck. Ständig hieß es, ich müsse den nächsten Kurs buchen, sonst würde ich „in meinem jetzigen Zustand steckenbleiben“. Die Kurse wurden teurer, und ich zahlte bereitwillig – anfangs aus Ersparnissen, später mit einem Kredit. Wenn ich zögerte, wurde mir gesagt, dass ich nur so wirklich „frei“ werden könne.

Langsam merkte ich, dass mein Leben immer enger um Scientology kreiste. In Erfurt traf ich mich kaum noch mit alten Freunden. Mir wurde geraten, Kontakte außerhalb zu reduzieren. Sogar zu meiner Familie in einem anderen Teil von Deutschland hatte ich kaum noch Verbindung.

Kontrolle statt Freiheit
Nach etwa einem Jahr war mein Alltag komplett durch die Organisation bestimmt. Die Auditing-Sitzungen wurden immer persönlicher, ich erzählte intime Details aus meinem Leben. Heute weiß ich, wie sehr das dazu diente, mich gefügig zu machen. Meine Welt war kleiner geworden – beschränkt auf Scientology und einige Straßen in Erfurt.

Der Wendepunkt
Im Winter, als die Weihnachtsmärkte in ganz Deutschland funkelten, saß ich im Erfurter Zentrum und wurde zu einem „großen Programm“ überredet – mehrere tausend Euro. Ich sagte, dass ich das nicht könne. Plötzlich war die Freundlichkeit weg. „Dann bleibst du, wie du bist“, sagte mein Kursleiter kühl. Auf dem Heimweg durch die kalte Luft Erfurts spürte ich zum ersten Mal klar: Das hier macht mich nicht frei – es nimmt mir alles.

Der Ausstieg – und die Leere danach
Mein Rückzug war schleichend. Ich sagte Kurse ab, ignorierte Anrufe. Manche versuchten, mich zurückzuholen – erst freundlich, dann vorwurfsvoll. Als ich endgültig draußen war, fühlte ich mich verloren. In Erfurt hatte ich kaum noch Freunde, und in ganz Deutschland musste ich erst wieder lernen, Vertrauen zu fassen.

Heute, nach Scientology in Erfurt
Heute habe ich mein Leben zurück. Ich engagiere mich in einer Selbsthilfegruppe für Sektenaussteiger hier in Deutschland und erzähle meine Geschichte, auch in Erfurt, um andere zu warnen. Ich habe gelernt: Man kann sich selbst nur finden, wenn man frei denkt – und keine Organisation einem vorschreibt, wie man zu leben hat.

Wenn ich heute durch Erfurt gehe und jemanden sehe, der einen Persönlichkeitstest anbietet, drehe ich mich um. Nicht aus Angst, sondern aus der klaren Gewissheit, dass ich meinen Weg außerhalb von Scientology gefunden habe – hier in Deutschland, hier in Erfurt.