Borderline trotz guter Kindheit - Die Ursachen der Erkrankung und Annas Erfahrungen!

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) wird oft mit schweren Kindheitstraumata, Vernachlässigung oder Missbrauch in Verbindung gebracht. Tatsächlich sind solche Erfahrungen häufige Risikofaktoren. Doch nicht jeder Mensch mit BPS hatte eine „schlechte“ Kindheit – es gibt auch das Borderline trotz guter Kindheit - und nicht jede scheinbar heile Kindheit schützt automatisch vor psychischen Erkrankungen. Die Entstehung von Borderline ist komplex und multifaktoriell. Genetische Veranlagung, Temperament, emotionale Sensibilität und soziale Umstände spielen dabei ebenfalls eine wichtige Rolle.

Emotionale Sensibilität als Anlage

Einige Menschen kommen mit einer besonders hohen emotionalen Empfindlichkeit zur Welt. Sie erleben Gefühle intensiver, länger und reagieren schneller auf zwischenmenschliche Reize. In einer stabilen, aber emotional wenig feinfühligen Umgebung kann dies zu Problemen führen – auch wenn objektiv keine „schlechte“ Erziehung vorliegt. Wenn emotionale Reaktionen regelmäßig als „übertrieben“ abgetan oder ignoriert werden, entsteht beim Kind das Gefühl, „falsch“ zu sein oder nicht verstanden zu werden. Diese chronische innere Spannung kann in späteren Jahren in Form von Borderline-Symptomen vor allem in Beziehungen sichtbar werden.

Das Zusammenspiel aus Veranlagung und Umwelt

Die moderne Psychologie spricht vom bio-psycho-sozialen Modell. Danach entsteht eine psychische Störung aus dem Zusammenspiel biologischer (z. B. Gene, Temperament), psychologischer (z. B. Selbstbild, Bindungserfahrungen) und sozialer (z. B. Familie, Freunde, Schule) Faktoren. Auch eine grundsätzlich „gute“ Kindheit kann emotionale Lücken aufweisen, wenn feine Bedürfnisse nicht erkannt oder ernst genommen wurden. Besonders bei sensiblen Kindern kann das tiefgreifende Auswirkungen haben.


Annas Geschichte – Wenn alles gut scheint, aber etwas fehlt

Anna wuchs in einer liebevollen Familie auf. Ihre Eltern waren fürsorglich, nie gewalttätig, sorgten für Geborgenheit, ein schönes Zuhause und förderten sie schulisch. Auf den ersten Blick wirkte alles ideal – und das war es objektiv auch. Doch Anna war von klein auf ein sehr empfindsames Kind. Schon Kleinigkeiten verletzten sie tief. Wenn sie traurig war und weinte, sagte ihr Vater oft: „Ist doch nicht so schlimm.“ Ihre Mutter wollte sie trösten, aber verstand ihre Gefühlswelt nicht wirklich – sie meinte es gut, aber sagte Sätze wie „Du bist halt etwas dramatisch“ oder „Du musst nicht so empfindlich sein“.

Anna lernte unbewusst, dass ihre starken Gefühle „falsch“ waren. Sie passte sich an, unterdrückte ihre Emotionen, versuchte, „normal“ zu sein. Doch innerlich fühlte sie sich immer öfter zerrissen. In der Pubertät begannen ihre Probleme sich zu zeigen: starke Stimmungsschwankungen, ein brennendes Gefühl von innerer Leere, impulsives Verhalten und ein extremes Bedürfnis nach Nähe, das oft in Konflikten endete. Sie schnitt sich heimlich, ohne genau zu wissen, warum – es war der einzige Weg, etwas zu spüren.

Mit 20 bekam Anna schließlich die Diagnose: Borderline-Persönlichkeitsstörung. Die Diagnose war ein Schock, aber auch eine Erleichterung. Endlich hatte das Chaos in ihr einen Namen. In der Therapie lernte sie nach und nach, dass nicht nur schwere Traumata zu ihrer Erkrankung geführt hatten, sondern auch das übersehene Missverstehen ihrer emotionalen Welt – trotz einer objektiv guten Kindheit.

Hier sind weitere Ursachen und Risikofaktoren für die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS), unterteilt in verschiedene Kategorien. Es handelt sich um ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Faktoren – keine einzelne Ursache erklärt die Störung allein.

Biologische und genetische Faktoren

  • Genetische Veranlagung: Studien zeigen, dass BPS in Familien gehäuft vorkommt. Es besteht eine erhöhte genetische Anfälligkeit. Borderline kann also trotz guter Kindheit entstehen!

  • Neurobiologische Auffälligkeiten: Veränderungen von Neurotransmittern in bestimmten Hirnregionen (z. B. Amygdala, Präfrontaler Kortex) können emotionale Impulsivität und schlechte Emotionsregulation begünstigen.

  • Neurotransmitter-Ungleichgewicht: Auffälligkeiten im Serotonin-, Dopamin- oder Noradrenalin-Haushalt stehen im Zusammenhang mit Impulsivität und Stimmungsschwankungen.

Psychologische Faktoren

  • Temperament: Ein angeborenes, sehr sensibles oder impulsives Temperament kann das Risiko erhöhen – besonders, wenn es in der Kindheit nicht angemessen begleitet wurde.

  • Schwierigkeiten in der Emotionsregulation: Viele Betroffene haben schon früh Probleme, starke Gefühle zu steuern oder zu benennen.

  • Identitätsunsicherheit: Ein instabiles Selbstbild oder das Gefühl, „nicht zu wissen, wer man ist“, entsteht oft schon im Jugendalter.

Frühkindliche Bindungserfahrungen

  • Unsichere oder instabile Bindung: Kinder, deren Bezugspersonen emotional unberechenbar, inkonsistent oder überfürsorglich waren, entwickeln häufiger BPS.

  • Eltern mit psychischen Erkrankungen: Auch bei liebevoller Erziehung kann ein Kind Schwierigkeiten in der emotionalen Entwicklung haben, wenn Eltern selbst stark belastet sind (z. B. mit Depression, Sucht, Trauma).

Traumatische Erfahrungen und chronischer Stress

  • Vernachlässigung oder Missbrauch (emotional, körperlich oder sexuell): Häufig, aber nicht zwingend notwendig.

  • Mobbing oder sozialer Ausschluss: Besonders im Jugendalter kann das tiefe seelische Wunden hinterlassen.

  • Chronische emotionale Missattunement: Wenn ein Kind regelmäßig in seinen Gefühlen übergangen oder missverstanden wird, kann es ein Gefühl von emotionaler Unsicherheit entwickeln – oft unterschätzt.

Soziale und gesellschaftliche Einflüsse

  • Instabile oder überfordernde Umweltbedingungen: Armut, Gewalt in der Nachbarschaft, häufige Umzüge oder wechselnde Bezugspersonen können Stress verstärken.

  • Medien und Idealbilder: Besonders bei Jugendlichen können soziale Medien unrealistische Erwartungen an Selbstbild, Körper und Beziehungen fördern, was Identitätsprobleme verstärken kann.

Borderline kann auch entstehen, wenn kein äußerlich sichtbares Leid in der Kindheit vorhanden war. Borderline trotz guter Kindheit existiert! Besonders emotionale Kinder benötigen eine besonders feinfühlige Umgebung, die ihre innere Welt wahrnimmt und ernst nimmt. Wird dies versäumt – selbst aus Unwissen oder bester Absicht –, kann dies langfristig Folgen haben. Die Geschichte von Anna zeigt: Es geht nicht immer um das, was passiert ist, sondern oft auch um das, was gefehlt hat.